Ansätze zu einer spirituellen Dimension in der Sexualität

Schön, wenn es Dich interessiert, was die spirituelle Dimension oder das Spirituelle in der Sexualität ausmacht. Damit beschäftigen sich auch einige von uns im Erfahrungskreis. Wenn Du schon länger damit unterwegs bist, kannst Du gerne mit uns in Austausch kommen.

Was unter spiritueller Dimension zu verstehen ist, bedeutet eine erste Herausforderung. Es handelt sich eher um etwas Subtiles hinter der konkreten Bedeutung von Wörten und hinter einem konkreten Tun. Die Sichtweisen darüber sind zudem recht individuell und recht kulturell geprägt. Ich versuche es trotzdem und trage ein paar Beispiele für eine spirituelle Dimension in der Sexualität und im reifer werden zusammen, die im Verlauf der letzten Jahre aus dem Austausch mit Freunden, aus der Literatur und aus der eigenen Lebenspraxis entstanden sind.

Für mich enthält es ein Leben, das sowohl materielle, funktionale und emotionale Aspekte liebevoll einschliesst (was etwa der “Achtsamkeit” oder “mindfullness” entspricht) als auch darüber hinausgeht, z.B. in eine Bewusstheit und Reflexion darüber, was ist, was geschieht und was Lebendikeit ausmacht und in ein Gefühl grösserer Wirkungsfelder, die das materielle, rationale, emotionale und deren Ursache-Wirkung-Verständnis übersteigen.

Auf Liebe und Sex angewandt bedeuten materielle, funktionale und emotionale Aspekte einer Spiritualität für mich zum Beispiel, einen sexy Körper zu pflegen, respektvoll und freundschaftlich miteinander umzugehen, bezüglich safer sex gegenüber sich und anderen verlässlich zu sein, intim und humorvoll miteinander zu spielen, Lust zu haben und das auch dem/der anderen zu gönnen, einen erfüllenden Orgasmus anzustreben und ebenso darauf verzichten zu können usw.. Was darüber hinaus geht und für mich einen wesentlichen Teil der spirituellen Dimension ausmacht, sind z.B. eine maximale Präsenz im Jetzt und im Liebesspiel, eine Befreiung von fixen Mustern, sich auf einen Flow einlassen können, Ekstase und Trance zulassen, Selbstreflexion und Persönlichkeits­entfalt­ung pflegen, ebenso Entfaltung von uns als Teil der Gesellschaft und der alles umarmenden Liebe, eine liebevolle Aneignung individueller und kollektiver Schatten, die Integration von Polaritäten, Bereitschaft für generationen­über­greifende Heilung, uns von einem nur mit unserem Körper oder unseren Emotionen identifizierten Ich oder Ego befreien (aber es trotzdem liebevoll anneh­men), unser Selbstverständnis als Paar und Gruppe in ein Wir als Gesellschaft und als Menschheit oder als Ahnenreihe ausweiten, die Blickweise als Zeug*in und aus Metaperspektiven üben, eine entspannte und inspirierende Sicht von Werden und Vergehen einnehmen, uns getragen fühlen, loslassen und fallenlassen lernen.
Mag sein, dass das alles noch etwas zu abstrakt oder zu schwer zugänglich wirkt. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich versuchen, konkretere Beispiele zu benennen. Falls Du Neo-Tantrakurse oder Anlässe des im Erfahrungskreis besucht hast, wird Dir das aus manchen Übungen vertrauter vorkommen.

Meine Auffassung von Spiritualität wird mehr und mehr frei von religiösen Konzepten, aber ich nutze Konzepte gerne oder spiele mit ihnen, um etwas  sonst schwer Fassbares anzudeuten und an bisherige Erfahrungen in unserem Leben anzuknüpfen.

Es geht mir um mehr, als einfach Spiritualität mit sexuellem Leben zu verbinden. Mir scheint es nötig, sich unserem langjährigen gesellschaftlichen Tabu Sexualität zuzuwenden, deren schöne und traurige Auswirkungen bei uns, unseren Partner*innen, unseren Ahnen und unserer Menschheit zu sehen, Verkrustungen und fixe Muster loszulassen, Wunden zu heilen und uns zu einer Transformation zu öffnen. Auch in jenen religiösen und spirituellen Strömungen, die Sexualität und weitere Tabuthemen umgehen oder verabscheuen, kann eine achtsame Zuwendung und respektvolle Aneignung der Sexualität zu mehr Bewusstheit und mehr Kraft im Leben, zu besserer Gesundheit, mehr Erdverbundenheit, besserer Motivation, zu mehr Erfolgserlebnis­sen und mehr Lebensfreude beitragen. Sexualität und Spiritualität können einander beflügeln.

Falls Du dieses Thema alleine, als Paar oder mit uns vertiefen möchtest:

Im Erfahrungskreis versuchen wir, Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Spiritualität in einen gesunden und zeitgemässen Mix zu bringen. Mit einem solchen Mix möchten wir uns persönlich entfalten und gleichzeitig etwas als kleine Zelle der Gesellschaft für die Entwicklung von uns Menschen beitragen. Spiritualität ist in sexualwissenschaftlichen oder -therapeutischen Bereichen noch sehr selten thematisiert und integriert, bei uns im Erfahrungskreis aber schon. Bereits haben Online-Meetings und physische Treffen in den Gruppen “Yoga of Sex”, “Neo-Tantra im Alter”, "transcend sex ❤️ embody spirit" und “Yab-Yum” stattgefunden.

Weiter führende Medien:

  • Fischer, Notburga (2018): Reifestufen der sexuellen Liebe. Wie Herkunft prägt und intime Beziehungen (dennoch) gelingen. Köln: Innenwelt.
  • Nelles, Wilfried (2012): Männer, Frauen und die Liebe. Eine kleine Psychologie der Geschlechterbeziehungen.
  • Christoph Joseph Ahlers, Michael Lissek (2017): Vom Himmel auf Erden. Was Sexualität für uns bedeutet. München: Goldmann
  • Diana Richardson (2011): Slow Sex. Zeit finden für die Liebe. München: Integral
     

Aus- und Weiterbildungen:

 

Autor: Remigius Wagner, Oktober 2021